(Text: Heinz Käsinger, Foto: Dr. Louis M. Herman/Wikipedia public domain, Buckelwale gelten als besonders lärmanfällig, umgekehrt aber
auch als große Sänger)
Es ist phantastisch: Das Ohrenschmalz von Walen zeigt
Forschern genau an, wie es den Tieren in der Vergangenheit ergangen ist.
Nahrungsmangel und Überfluss, Stress durch Lärm und Bejagung, das alles schlägt
sich in den Gehörgängen der Meeresriesen ab. Der Biologe Stephen Trumble und der Umweltbiologe Sascha
Usenka haben Ohrenschmalz von 20 Finn-, Buckel- und Blauwalen untersucht. Daraus
haben sie ein Stressprofil der Populationen während der vergangenen 146 Jahre
erarbeitet. Der Ohrinhalt ist deshalb in etwa vergleichbar mit den Jahresringen
eines Baumes oder der Bohrprobe aus dem Meeresboden.
Die beiden Forscher untersuchten den Zeitraum zwischen 1870
und 2016 am Ohrschmalz von Bartwalen. Ihre Ergebnisse stellten sie im
Fachmagazin Nature Communications
vor. Konkret suchten Tumble und Usenka im Ohrschmalz nach dem
Stresshormon Cortisol. In den 1960er Jahren war der Walfang weltweit auf seinem
Höhepunkt angekommen. Fast 150 000 Meeressäuger wurden damals gefangen und
getötet. Der Stresspegel der Wale stieg an, erkennbar am erhöhten
Cortisolgehalt im Ohr. Die Schutzmaßnahmen, die ab den 1970er und 80er Jahren
griffen, führten zu einem Rückgang des Cortisols.
Auch Lärmbelastungen schlagen sich im Ohr nieder. So hatten
die untersuchten Proben in den Jahren 1939 bis 1945 extrem hohe
Cortisolkonzentrationen – der Zweite Weltkrieg brachte erhöhten
Schiffsverkehr und extrem viele Detonationen durch Bomben, Torpedos und
Artillerieabschüsse mit sich. Auch der Klimawandel stresst die Wale: Seit 1970 steigt die
Oberflächentemperatur des Meeres an und damit das Cortisol im Ohr. Ebenso
werden jetzt das Schwinden des Meereises und der Rückgang der Futtermengen
untersucht. Wale hören nicht nur mit dem Ohr, der gesamte Kopf ist am
Hörvorgang beteiligt. Die Schallwellen werden vom Unterkiefer aufgenommen. Ein
mit Fett gefüllter Kanal leitet diese dann zum so genannten Felsenbein, wo das
Mittelohr untergebracht ist. Im Innenohr beginnt dann der Hörnerv, der extrem
dick ausgelegt ist. Darüber hinaus besitzen Wale drei Mal so viele Zellen im
Ohr als der Mensch. Die Ohröffnungen selbst sind meistens klein und unscheinbar
und schräg unter dem Maul gelegen. Trotzdem können sie hochfrequente Töne
problemlos hören und auch lokalisieren, woher diese kommen. Wale können auch selbst Laute von sich geben. Das geht
über den Oberkiefer. Dort sitzt ein Resonanzorgan mit einem Fett-Wachs-Gewebe
(Melone). Dort werden die Töne gebündelt und abgegeben.
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