Text von Heinz Käsinger
Emily Youngs Werke wurden weltweit ausgestellt und brachten
ihr die Auszeichnung der „besten noch lebenden Steinbildhauerin“ Großbritanniens
ein. Kein Wunder also, dass das jüngste Projekt der Britin ihre
Agentin verblüfft hat. Young ist jetzt in der Toskana ansässig und fertigt zehn
Tonnen schwere Köpfe aus Marmor im Wert von bis zu 500 000 Pfund an, bevor
sie sie ins Mittelmeer wirft, wo sie niemand sehen wird, der sich nicht Flossen
und Tauchermaske aufsetzt.
„Mein Agent sagte: ‚Sind Sie verrückt? Haben Sie eine
Ahnung, für wie viel ich die verkaufen kann?’“ Young, 68, lacht, als sie das der
Times erzählt. Gerade bereitet sie sich darauf vor, einen weiteren massiven
Kopf vor der toskanischen Küste zu versenken. Ihre Köpfe mögen in die nasse Vergessenheit rollen, aber
Young sagt, sie hätten einen höheren Zweck als nur beguckt zu werden. Die Britin
gehört zu einem Team von Bildhauern, die den örtlichen Meeresboden mit ihren
Werken übersät haben, um illegale Fisch-Trawler aufzuhalten, die ihn nachts mit
Schleppnetzen durchpflügen und dabei jeden Tintenfisch, jede Brasse und jeden Barsch
fangen und das Seegras herausreißen, von dem sich die Fische ernähren.
„Es ist herzzerreißend zu sehen, wie wüstenhaft öd der
Meeresboden geworden ist. Aber bei unseren Skulpturen bleiben die Netze der
Boote jetzt hängen und können nicht mehr benutzt werden“, freut sie sich. Das Projekt wurde von Paolo Fanciulli, einem einheimischen
Fischer, ins Leben gerufen, der 2006 damit begann, die Arbeit der Trawler mit
Betonblöcken zu durchkreuzen. Die Besatzung der Trawler bedrohten Fanciulli
massiv, schlitzten seine Autoreifen auf und schickten ihm anonyme Morddrohungen. Doch der traditionell fischende Mann ließ sich nicht
einschüchtern. Als der Besitzer eines toskanischen Steinbruchs, der einst sogar
von Michelangelo genutzt wurde, 300 Marmorblöcke anstelle von Beton anbot, war
es für Fanciulli Zeit, in die Offensive zu gehen. Er bat einige ihm bekannte Bildhauer,
sich an die Arbeit zu machen. Der gestiftete Marmor, der aus Carrara stammt,
hat einen gräulichen Farbton und ist gestreift. Es ist vielleicht nicht der
weiße Marmor, der weltweit zu Spitzenpreisen verkauft wird, aber darauf kam und
kommt es schließlich nicht an.
„Paolo ist ein Superstar, der von Generationen von Fischern abstammt
und erkannte, dass die Fischbestände kollabieren werden, wenn wir sie weiterhin
so rücksichtslos plündern“, sagt Young. Sie hingegen wurde in eine Familie von
Künstlern, Politikern und Abenteurern hineingeboren. Ihre Großmutter Kathleen
Scott war eine Bildhauerin, die bei Auguste Rodin studierte und gut mit Pablo
Picasso und George Bernard Shaw bekannt war. Nun hofft das ungleiche Paar, die
Fischbestände vor der Toskana durch diese ungewöhnliche Aktion zu retten.
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